Das wahre Leben beginnt mit einem Absturz

Der Schauspieler Matthias Matschke, bekannt aus „The Grand Budapest Hotel“ und „Pastewka“, erzählt in „Falschgeld“ von (s)einer Kindheit im hessischen Niemandsland. Und beweist, dass die interessantesten Geschichten oft in den scheinbar ereignislosesten Leben stecken.

Es ist ein melancholischer, teilweise komischer, jedenfalls berührender Text, den man mit dem Gefühl im Herzen beendet: Was lebt, kann nicht gehalten, aber kurz umarmt werden – und noch seltener werden diese Umarmungen auch erwidert. Das muss dann Liebe sein. Aber zurück zum Buch, bevor es kitschig wird … etwas, was Matthias Matschke gekonnt vermeidet. Kompliment an den Debütanten.

„Falschgeld“ ist ein Erinnerungsroman, tastend und episodenhaft erzählt. Die Geschichte handelt von einem Jungen namens Matthias – der Autor gibt seinem Protagonisten kurzerhand den eigenen Namen –, der zwischen seinem 13. und 20. Lebensjahr in einer Neubausiedlung im hessischen Odenwald aufwächst. Der Vater ist Pfarrer, die Mutter Postbeamtin im Fernmeldewesen. Eine vertraute Konstellation, aus der Matschke eine Erzählung über das Erwachsenwerden entwickelt, über die Brüchigkeit bürgerlicher Existenzen und darüber, wie Menschen einander verlassen, ohne dass große Worte fallen müssen.

Heranschleichende Melancholie

Es ist eben diese Wortlosigkeit, die sich auch als schleichende Erosion des Vertrauten lesen lässt. Das Schweigen wirkt wie ein unsichtbarer Riss, der sich durch die Fundamente der Familie zieht. In den Lücken zwischen den ungesagten Dingen verschwinden allmählich Zugewandtheit und das Interesse füreinander. Matschke beobachtet mit wachsender, nein, beklemmend heranschleichender Melancholie, wie die vermeintliche Normalität nicht etwa in dramatischen Zerwürfnissen zerbricht, sondern im alltäglichen Unterlassen, das einem Resignieren gleicht. Wenn Menschen also aufhören, nach Worten zu suchen, die ihre Verbindung zueinander erneuern könnten.

Was als familiäre Idylle beginnt, weitet sich zu einem Panorama bundesrepublikanischer Lebenswirklichkeit der Achtzigerjahre. Man muss nicht aus Darmstadt kommen, um sich in diesem Roman heimisch zu fühlen. Es sind die Sommerferien 1984, die mit einem Sturz vom Apfelbaum beginnen und fast tödlich enden. Von da springt die Erzählung vor und zurück zwischen Schulausflügen, mit Sprühsahne bedeckter Verwandtenbesuche und den Begegnungen mit Johanna, der ersten Liebe. Eine heimliche Hauptfigur ist auch Onkel Günter, ein homosexueller Künstler und Schauspieler, der sich das Leben genommen hat, als Matthias sechs war. Von ihm stammt das titelgebende Falschgeld – selbst hergestellte Tausendmarkscheine, von denen einer am Ende in die Tasche des Neffen wandert.

Liebevoller Blick, auch wenn er schonungslos wird

Die Ruhe, mit der diese Geschichte erzählt wird, nimmt letztlich für diesen Roman ein. Keine Pose, kein Selbstmitleid, keine Selbsterhöhung. Dafür ein Blick, der liebevoll bleibt, auch wenn er schonungslos wird. Erinnern heißt hier versuchen, genauer hinzusehen, auszuhalten und erst dann – vielleicht – einzuordnen. Oder mal unsortiert im Vorzimmer des Zweifelns an der eigenen Erinnerung stehenzulassen.

Ein Satz mit, den ich mir glatt aufs T-Shirt drucken lassen möchte:

„Am besten kann man Menschen dort vermissen, wo sie hingehören.“

An manchen Stellen hätte ich mir eine schärfere Konturierung gewünscht. Etwa bei der Figur der Mutter, die zwischen wehmütiger Treue und stiller Verbitterung changiert, ohne dass diese Ambivalenz ganz aufgelöst würde. Möglicherweise ist es die Rücksicht auf die Lebende, die den Autorensohn hier zögern lässt. Wer seine eigene Mutter literarisch seziert, betritt heikles Terrain, zwischen dem Einem-Menschen-nicht-gerecht-werden-Können und dem Herzen voller Loyalität.

Jede Erinnerung sickert einmal in eine Erzählung ein. Ein Roman über das eigene Erinnern ist immer auch der Versuch, die eigene Erzählung zu retten oder wenigstens festzuhalten, bevor sie sich verflüchtigt. Der verzweifelte Rettungsversuch Matthias Maschkes ist höchst lesenswert, meint

Nikolaos Georgakis,

aber was weiß der schon? Nun, zum Beispiel, dass „Falschgeld“ bei Hoffmann und Campe erschienen ist, 256 Seiten hat, 24 Euro kostet (ISBN 978-3-455-01463-1) und im gut sortierten Buchhandel erhältlich ist.

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„Verheerungen des Vergessens“