Frostige Bettlaken

LESUNG. Der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm stellte seinen neuen Roman „An Tagen wie diesem“ im Café Central vor.

Peter Stamm ist Schweizer. Also pünktlich. Zwanzig Minuten vor Beginn der Lesung sitzt der Autor bereits am Tresen, liest Notizen und Briefe, raucht Zigaretten und beobachtet aus dem Augenwinkel, wie sich das Café Central mit Menschen füllt, einige von ihnen halten seinen neuen Roman „An einem Tag wie diesem“ in den Händen. Eine Dame, nur einen Bierdeckelwurf vom Autor entfernt, klappt in Vorfreude ihr Stamm-Büchlein auf, liest zwei Zeilen, klappt es wieder zu, spricht lächelnd ihre Nachbarin an: „Toll, dass so viele Leute gekommen sind.“

Ob Peter Stamm der rege Zuspruch freut, lässt sich an seinen stahlblauen Augen nicht ablesen. Er wirkt stets wie die Ruhe selbst. Als er sich dann auf das Podium mit der offenen Balkontür im Rücken setzt, hebt sich seine blasse Gesichtsfarbe kaum von der weißen, frisch gestrichenen Wand des Cafés im Grillo-Theater ab.

Ausstrahlung, die von diesem Schriftsteller ausgeht

Und dann liest er so lakonische Sätze vor, wie den, mit dem auch sein neuer Roman beginnt: „Andreas liebte die Leere des Morgens, wenn er am Fenster stand, eine Tasse Kaffee in der einen Hand, eine Zigarette in der anderen.“ Seine Zuhörer scheinen sofort gefangen, sowohl von der Wirkung des Gelesenen als auch von der Ausstrahlung, die von diesem Schriftsteller ausgeht.

Die melancholische Grundstimmung in seiner Geschichte vom lebens- und liebesunfähigen Lehrer Andreas versteht Stamm mit der unaufgeregten Art, sein Sprechen zu verstärken. Er liest deutlich, achtet auf Punkt und Komma und übergeht stur die Pointen im eigenen Text. Keine künstlichen Pausen, kein Laut oder Leise.

Selbst die erotischen Passagen liest er mit der Präzision eines Uhrmachers, was die Zuhörer noch mehr zu fesseln scheint. Bei diesen Stellen lauschen sie besonders ruhig, da es in den Bettlaken der Zweisamkeit meist frostig bleibt. „Man kann so schön allein sein mit dir“, sagt Andreas zu einer seiner Geliebten.

„Damit wollen wir aufhören“, mit diesen Worten beendet Stamm die Lesung, antwortet dann aber doch noch auf Zuhörerfragen. Wie gesagt: Peter Stamm ist Schweizer. Also höflich.

Erschienen am 14.09.2006, in der Neuen Rhein/Ruhr Zeitung (NRZ)

Zurück
Zurück

Deutsche Ordnung – deutsches Morden

Weiter
Weiter

Halt am Buchdeckel